Yehuda Hyman
(USA)
DIE MAUER GEDICHTE
Auszug aus
„Israel, the First Time“ – „Israel zum ersten Mal“
I.
Ich wollte die Mauer sehen
Ich wollte die Mauer sein
Ich wollte dort sein, am Allerheiligsten,
mein Gesicht gegen die Felsen pressen, feucht
von alten Tränen, nass vor Schmerz
über ewige Heimatlosigkeit.
Aber als ich dort ankam, war Bar Mitzvah Tag.
Jemenitische Frauen lehnten sich über die
Trennwand zwischen Mann und Frau. Sie
warfen ihren geliebten Jungen festes
Zuckerwerk zu, lachten und gellten:
„Lu lu lu lu lu lu lu!“
So konnte ich wirklich nicht weinen.
II.
Beim zweiten Mal an der Mauer bemerke
ich einen kellerähnlichen Eingang zur Linken.
Ich gehe hinein auf der Suche nach Freisprechung; eine dumme
amerikanischer Auffassung.
Ein schöner alter Mann in schwarz singt „Moshiach!“
während ich vorbei laufe.
Ein anderer Mann – älter, grauer, der aussieht wie
der Großvater den ich niemals gekannt habe winkt
mich näher heran. Er spricht Russisch. Ich
schüttle meinen Kopf.
“Von wo bist du?”
“San Francisco”
“Und woher deine Fater?”
“Polen.”
Er atmet schwer. Die Augen leuchten auf. Er singt auf Jiddisch.
Er drückt seine warme Handfläche auf meinen bedeckten Kopf.
Er segnet mich, erfüllt mich mit Liebe – wie zur Familie
gehörig. Ich bin Zuhause.
Und dann –
Die gleiche Hand die mich segnete – sinkt hinab,
dreht sich herum streckt die Handfläche aus und verlangt:
„Tzedakah.“
„Ui, was?“
„Tzedakah, tzedakah.“
Geld. Sein Lohn – für einen Segen.
Ich schüttle meinen Kopf. Er rennt mir nach.
„Tzedakah, tzedakah, tzedakah!“
Ich würde sie gern in die Luft jagen. Diese aufgehäuften Felsen.
III.
Beim dritten Mal an der Mauer
dachte ich an meinen Vater.
Falls mein Vater zu dieser Mauer kommen könnte
würde er wohl weinen. Wie an dem Tag
als John Kennedy beerdigt wurde.
Er würde nahe bei ihr stehen und seine Augen
schließen wie er es manchmal tat während
der Yom Kippur Gebete.
Er würde einen frisch gebügelten Anzug tragen
und einfach nur dastehen.
Voll Achtung und Respekt. Jene anderen
„religiösen Typen“ betrachtend von weither.
Ich wünschte mein Vater könnte diese Mauer berühren
und die Liebe spüren die er niemals spürte während
er lebte.
Ich wünschte mein Vater würde mich berühren wie
ich diese Mauer berühre.
Ich wünschte.
IV.
Es war meine letzte Gelegenheit die Mauer
zu sehen. Ich lief durch den Arabischen Markt
aufgeschreckt von Bildern die ich von unseren rassistischen amerikanischen
Filmen kannte und verführt
von würzigem Weihrauchduft ringsum. Ich wollte
bleiben und mehr sehen aber ich konnte es nicht.
Ich lief und lief bis ich zum Cardo kam
wo sich 20 schöne israelische Soldaten
umher trieben. Der Regen war beharrlich
und ich wollte bleiben und jene
Gesichter betrachten aber irgendetwas rief mich.
Ich kam bei der Mauer an aus der Dunkelheit
und die Steine des nassen Bodens sprachen
zu mir in Pastelfarben – Pink, blau,
beige, grau, ocker.
Ich trat durch die Schranke, nahm
mir eine Pappschachtel Yarmulke und
Shechina war da
Sie war so froh dass ich gekommen war.
Seltsam dass Frauen nicht willkommen sind
auf dieser Seite der Mauer wo das
Weibliche so stark ist. Seltsam.
Aber es störte sie nicht zu sehr. Sie ist
geduldig. Eine jüdische Mutter weiß dass
all ihre Kinder schließlich wieder nach Hause kommen.
Ich küsste ihr zum Abschied zu und ging hinaus
durch die Schranke auf den Nachhauseweg.
Aber dann hörte der Regen auf und ich hörte
ein Gedicht. Es ging so:
„ .“
Übersetzung: Eva-Maria Berg
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Yehuda Hyman ist Choreograph, Stückeschreiber, Schauspieler, Poet und Geschichtenerzähler, der eigene Tanztheaterarbeiten kreiert. Er wurde in Los Angeles, Kalifornien, geboren als Sohn von Immigranten aus Polen und Russland. Er begann seine Ausbildung mit der Reise nach Brüssel, Belgien, im Alter von 16 Jahren als Stipendiat-Student in Maurice Bejart´s multidisziplinärer Theater/Tanz Schule, MUDRA. Nach seiner Karriere als professioneller Tänzer und Choreograph (Broadway, Film, Fernsehen, Konzertbühne) begann Yehuda Hyman das Schreiben. Seine Stücke: The Mad Dancers, David in Shadow and Light (gemeinsam mit Daniel Hoffmann), Center of the Star, Swan Lake Calhoun, I Ask You, Ladies and Gentlemen (basierend auf den Erinnerungen von Leon Surmelian) und Max, Rapunzel and the Night.Seine Werke wurden aufgeführt u.a. in: McCarter Theatre, The Mark Taper Forum, San Diego Repertory Theater, Theatre J, Actor´s Theatre of Louisville, Beast Theater, Piven Theatre Workshop, Highways Performance Space und The Marsh. Zu seinen Auszeichnungen zählen: the Kennedy Center Fund for American Plays Award, the National Endowment of the Arts/TCG Playwrite-in-Residence zur Zusammenarbeit mit dem Cornerstone Theater Los Angeles, darüber hinaus NEA Stipendien, ein Jerome Fellowship im Playwrights´ Center of Minneapolis, Heideman Award und Stipendien vom Center for Jewish Culture and Creativity and Foundation for Jewish Culture. Er ist Künstlerischer Mitarbeiter des Cornerstone Theater. Seine Lyrik und Prosa wurden veröffentlicht in: San Francisco Bay Guardian, Nothern Californian Jewish Bulletin, Minnesota Monthly, Revue Alsacienne de Littérature, Recours au Poème, sowie Seeing Jewish and Israeli dance – erschienen in der Wayne State University Press. Er hat Gedichte der deutschen Lyrikerin Eva-Maria Berg übersetzt. Vor kurzem arbeitete er in New York City als Schauspieler zusammen mit dem Target Margin Theater, mit The Civilians und als Artist Fellow am LABA House of Study in der 14St Y in New York City(2013/2014). Er erhielt vom Empire Stage College, SUNY, seinen Bachelor of Arts Degree in Interdisziplinärer Performance und vom Sarah Lawrence College seinen Master of Fine Arts für Tanz. Er war Gastdozent in: Princeton University, University of Southern California, Barnard College, New York University, Goucher College, Whittier College, University of Indinia und am Rhodopi Institut in Smolyan, Bulgarien. Zur Zeit ist tätig er an der Fakultät des Dance/Movement Therapy Graduate Program im Sarah Lawrence College in Bronxville, New York. Yehuda Hyman ist Künstlerischer Leiter des YEHUDA HYMAN/MystFT – Tanztheater-Ensemble in Brooklyn.