Tuncay Gary
(Deutschland)
Neben zahlreichen Engagements als Schauspieler für Film, Fernsehen und Theater (u. a. am Wiener Burgtheater, Maxim Gorki Theater, Deutsches Theater Berlin, in Stücken von Goethe, Shakespeare, Moliere, Cervantes über Dario Fo und andere zeitgenössische Autoren) hat Tuncay Gary seine Arbeit in jüngster Zeit auf eigene Produktionen verlegt. Im von ihm begründeten « Theater Windmühle – Teatro de molino de viento » produziert er in wechselnden Besetzungen eigene wie fremde Theaterstücke für Kinder und Erwachsene.
Zwischen 1995 und 1996 hat Tuncay Gary einige Gedichte und Prosatexte in „Mosaik – Zeitschrift für Literatur und Kultur“ herausgegeben.
1996 erhielt Tuncay Gary den Lyrikpreis von „Young Life Berlin e. V.“
Erstes Kind
gebar ich am Anfang –
kaum merklich
löste ich mich
von mir.
Dauernd Wellen und
Regen
um meinen Körper,
der mich eingenommen
und eingefangen hat
in einer kinderlosen Umgebung.
Sonnenschein drückt auf meinen Schädel
presst und umarmt zugleich.
Kaum bin ich Kind
schon erwachse ich zum Tod.
Kein zurückspulen!
schreiben
warum
wenn wir uns sehen
sind worte klein und zittrig
die nähe zu dir
lässt mich nicht sprechen
nicht klar genug
die nähe zu dir
verzaubert
bezaubert
verstummt
lässt mich verstummen
ganz leise bin ich
ganz klein
alles schweigt um mich
in mir
aus mir
zu dir
nur dies
vorsichtiges tasten
auf allen vieren
wie eine katze
ohne beine
ein vogel in der luft
luft um dich
abgehoben
Nachts allein im Bett
im Kern der grünen Spur
auf halben Wegen
dein Schatten
Nachts allein im Bett
abgerissen von meiner Seite
so fort wie noch nie
dein Schatten
Nachts allein im Bett
dein Schatten
Wie will ich dich sehen
nackt oder bekleidet
in beiden Fällen bist du
schön
gar nicht davon zu sprechen
die Erregung
in beiden Fällen bist du
schön
ob nun das Hemd die Brust entblößt
oder nicht
in beiden Fällen
schön
manchmal ein wenig weiter als Knie
Schenkel Hüfte Nabel
in beiden Fällen
schön
und wenn du schläfst wach bist
mich liebst
vergesse ich auf alle Fälle es ist
schön
In Spiegeln spiegeln sich die Spiegel
und kein Spiegel
kein einziger
hat auch nur eine Kleinigkeit
zu viel
Im Spiegel spiegelt sich der Spiegel
und alle anderen auch
kein einziger ausgenommen
Aber wo bleibt mein Auge
in keinem Spiegel
zu sehen
Spiegel spiegeln nur sich
außerdem
zu selbstverliebt
um meinem Auge
Raum zu geben
Vergeblich also such ich
nach Augen
zu verspiegelt die Realität
um herauszufinden
W. S. Literatur ´96
In den Tempeln der Erleuchtung
kämpfen wir gegen uns selbst
Hoffnung nur so lange vorhanden
wie es der weiße Schwarm
an Flügeln unsere Gehirne benetzt
Zeit ist ein Aufwand der Sterne
darin zu sonnen uns behagt
Ewigkeit hingegen eine Marionette
aus Wundern klarer Gedanken
sternenklar am Abgrund des Himmels
Dein Haar ist schwarz
so schwarz wie es
deine Augen
nicht sein können
so schwarz
ist nicht dein
Mund
auch nicht
deine Wangen
und die Ohren
ganz bestimmt nicht
die Schenkel
du glaubst nicht
wie schwarz
dein Busen nicht sein kann
so bestimmt nicht
dein Zeh
deine Zähne
werden niemals
so schwarz werden
die sind weiß
weiß
wo kommt bloß diese Farbe her
Rauch
dörfer brennen wie
zeitungspapier
bäume genug
um einen wald voll
zu verbrennen
menschen noch mehr
so viel schon
brennt
und tiere erst
knistern in der luft
wie babys
oder spielzeug
als zigarrenrauch
in der luft
all das obst
und ähren und felder
selbst der fluß
kaffeeheiß
steigt empor
wie brennen dörfer
herr ober
lieber einen tee
und die neueste ausgabe
die hier ist
von gestern
In den Trümmern meiner Erinnerung
zerrinnst du wie Feuer
Staub ist dein Kleid
lodernd in meinem Haar
deine Nacktheit kann ich verbergen
in meinen Nächten
deine Gedanken
nicht
in geheimer Sprache findest du
Worte
vielleicht gelingt es mir
dich zu verstehen
Worte sind so leicht
fliegend leicht
schon bodenlos
ich selber suche den Boden
auf dem du schreibst
bin ich Wort
bist du Tinte
bin ich Kamm
bist du Haar
4:50 Uhr
Winter
die Gedanken vereisen nicht
die Gedanken ganz klar
zwar kalt draußen
in dieser Zeit
aber
im Innern ein Feuer lodert
manchmal ganz behaglich schon
manchmal aufflammend
in dieser Zeit
Winter
zwar trotzdem auf allen Straßen
zwar trotzdem ganz grau
doch die Bäume stehen
in dieser Zeit
Was ist schon ein Tag
Wir suchen heute
nach einem Morgen
und dabei
lassen wir aus den Augen
was gestern schon war
Liebe ist
wenn wir vergessen
was gestern war
Was ist gestern
die Erinnerung
hält uns wach
dafür
Schreiben tut not
nur nicht heut
heute lassen wir es
sein
Raus aus dem Alltag, hinein in den Traum
Aus der Phantasie schwindest Du hin und wieder
Jedoch kehrst Du unvermittelt zurück, wenn kein Gedanke mehr ist
Auch in Träumen lebt ein Teil der Wirklichkeit
Auch in der Wirklichkeit ist vieles nur Traum
Noch stehen wir am Anfang
Erste Schritte stehen uns bevor
Sacht und ruhig gehen wir sie
Reich in Gedanken und Gefühlen
Immerzu bewusst, die Augen gespitzt
Nie die Angst, nie die Not
Meist aber sind´s die Hürden
Auch sind´s wir, zu unvorsichtig
Nichtigkeiten, die was bewirken
Die Angst, die lähmt vor der Tat
Und das Unvermögen, heraus zu finden
Zuletzt haben wir es also selbst in der Hand
Frühlingsangst
Leben schreitet voran
Sorgsam und sorglos
behaglich im Wind der Blätter
dabei schon
hoffnungslos vergraben
was letztes Jahr schon
gewesen
Frühling beginnt
und endet wie immer
mit einem Erwachen
Licht im Auge
Blumen
Betrachte ich dich im Spiegel
Lese ich Worte in deinem Gesicht
Unbemerkt aber schleicht
sich ein Wort hinein
Macht aus allem eine
neue Bedeutung
Etwas aber bleibt zurück
Nichts entgeht dir bei
diesem Spiel
Aprilscherz
Die geheimen Windungen
des Gehirns
führen ins Nirgendwo
wo auch immer man sucht
der Ausgang ist immer der gleiche
Hoffnung aufatmend klar
ins vernichtende Nichts
Heute ist ein wundervoller Tag
und morgen wie immer
Die geheimen Windungen
des Gehirns
führen zum Anfang
zum Ende
zum Mittelpunkt des Wartens
Richtig oder nicht , das wirst du mir nie sagen
Auch wenn ich die Stimme erhebe, es zu wagen
Jedes mal in der Hoffnung, eine Antwort zu erhalten
Anfangs noch ungestüm, später dann verhalten
Aber die Zeit, die verstreicht, wird´s schon walten
Randvoll gefüllt mit Leben schreitest du den Gang
Auch mit der Neugier, die du dir bewahrt hast
Je nachdem, welchen Weg du wählst
Am Anfang schien dir alles leicht
Am Ende ist dagegen so manches schwer
Ruhig verlasse ich den Raum, wo du warst
Atme erleichtert – von der Aufregung nichts zu sehen
Jubel beflügelt meinen Geist, der Körper tanzt auf den Wegen
Atme erleichtert, schaue in Gedanken dir hinterher
Atme erleichtert, die Welt für uns hat keine Grenzen
Bisher ist das so, bisher dreht sich die Welt auch in der Bahn
Atme erleichtert zwar, aber das Ungefühl wächst mit jedem Zug
Ich sollte anhalten, aussteigen auf dieser Fahrt
Raus aus dem Alltag, zurück wieder in den Traum
Heute lasse ich mich fallen
Ohne halt und ohne Stütze
Federleicht gleite ich hinunter
Fern von allem, was bedrückt
Noch in der Luft, Augen nach unten
Ufer im Blick, die Sinne geweitet
Nicht mehr lange, dann folgt die Landung
Gerade richtig, erreiche ich Boden
Barfuß laufe ich im Sand
Alles was sichtbar, führt zu dir
In diesem Land gibt es Hoffnung
Raus aus dem alten, wüsten Land
Was sind Blicke
tiefe Einschnitte ins Gehirn
seltsame Furchen, die entstehen
und sich eingraben ins Gedächtnis
Ein Blick ist eine Öffnung
Eingang
Tor
um aufzunehmen
dich und mich
Ich dringe in dich ein
du dringst in mich hinein
und so eindringlich
wie ein Blick ist
kommen wir zueinander
W.S. Literatur ‘11
Wie ist es, mit Worten umzugehen
so kunstvoll und klar
ein Detail zu beschreiben
als wär´s die Antwort auf
das Leben
und doch
so zurückgenommen
das die Worte
nicht so wichtig genommen werden
Wie ist es, das Leben
zu beschreiben
als wär´s ein einzelnes Wort
ein Wort beschreibt das Leben
und das Leben ist ein Wort
Lautlos ist es
wenn wir uns sehen
die Stille ist so stumm
das kein Blatt das andre stört
Jedoch in Momenten
der Entspannung geschieht´s
Worte springen hoch
entschließen sich
zu reden
In diesen Augenblicken
gibt es eine Zusammenkunft
zwischen
Worten und Stille
Am Anfang war das Wort
am Ende Stille
7:43
Freitag, der 13.
es heißt, an diesen Tagen
geschehen Dinge
die außer unserer Ordnung sind
Dabei
bei genauem Blick
sehen wir es
enttarnt
Nicht die teuflischen Hände
sind es, die bewirken
das sie für uns nicht begreifbar
sondern sehr menschlich
die Regung
die dahin führt
Tuncay Garys Poesie benötigt nicht viele Worte. Sorgfältig gewählte, kraftvolle Bilder wirken wie Schnappschüsse des Unterbewusstseins. Es gelingt ihm, mit wenigen prägnanten Gedanken und facettenreichen Assoziationen Emotionen auszudrucken, über die man ganze Bücher schreiben könnte.
Inspiriert vom Leben und der Liebe stellen seine Gedichte die Sinnfragen, ohne sie beantworten zu wollen. Es sind Feststellungen, intime Reflektionen, entstanden in emotionalen Momenten. Durch die Augen des Dichters bekommt auch das Leser-Ich einen Spiegel vorgehalten, findet sich in einem Zaubergarten aus verlorenen Gedanken. Mit philologischem Geschick und beeindruckenden Metaphern ist ihm eine inspirierende Sammlung von Gedichten gelungen.
Katarina Grgic, Lektorin by Frieling Verlag