Sia Bronikowski
(Deutschland)
Davor
Wenn die Tür zufällt
die letzte von vielen Türen
und du nicht weißt
stehst du davor
oder dahinter
und wer sie zuschlug
der Wind
oder der Andere
du spürst die Leere
denn du bist allein
immer stirbst du allein
weil keiner dich
retten kann
stell den Fuß
in die Tür
und lasse sie dann ganz sanft
in deinem Rhythmus
zufallen
Die Türe
bist du
Café Paris
Allein
zwischen geflochtenen Stühlen
Heizstrahler
unter roter Markise
Pflastersteine auf der
Straße glänzen
alles glänzt
auch der kleine runde
Tisch schwarz mit
goldenem Rand
Die Spitze des Eiffelturms
hinter den Häusern
in Szene gesetzt
beleuchtet gegen
den schwarzen sternlosen Himmel
Ich fühle mich kleiner
werden winzig klein
in rotem Saumur
im Weinglas schwimmend
von Glaswand zu Glaswand
An allem
ist nur die
Rose schuld
die ich
in meinem Koffer fand
Am Ende das Nichts
Unsicher auf den Beinen
wie ein neugeborenes
Kalb
schwankend
wegfliegende Gedanken
ins Ungewisse
Suche nach einem
Passwort
für die Ewigkeit
eine neue Religion der
Beziehungen
vom Hier zum Jetzt
Immer wieder Griechenland
und der IS-Terror
und das Experiment von Cern
wo sich vielleicht zwei
Teilchen treffen
die alles verändern
Auch Jesus tritt
auf die Bühne
kein Gott aber ein
Liebender zu den Menschen
Die Engel
sind verwundert
Mit geschlossenen Augen das
Paradies erforschen
Ein kleiner Körper mit
großem Geist
Aufgeben
das Suchen nach Worten
Schatten spielen
mit der Angst
Wie klein die Welt wird
am Ende
Eine Muschel im Meer
Und wie groß
am Ende
die Sehnsucht
nach dem Nichts
Entfernung aus einem Bild
Fabelwesen und Schlangen
kriechen und winden sich
auf braunem Gestein
von Riesenhand gefaltet
an Oberkanten
weiß gekratzt
fliegende Gedanken
im Schlaf
Bilder zerspringen
glänzende Spiegel in der
Sonne zersplittert
neu komponiert nach
unbekanntem Muster
Realtime
überwindet jede Zeit
mühelos den Raum
Gedanken trennen sich
im Schlaf
kreisen beladen
mit Fundstücken
meilenweit entfernt
bereit zur Kollision
Spielerei oder
lebensrettend?
Und wann
finden wir uns
und wie
in den verschobenen
Räumen?
Ein Glas zerspringt
Ein Glas zerspringt
fern der Heimat
ockergelb war der Tag die
Ähren geerntet zu
Ballen gewickelt
dein Herz trunken vor
Freude und Schmerz
Du umarmst den
warmen Stamm der
Dattelpalme
birgst dein Gesicht im
Blatt eines Gummibaums
brichst die weißen
Blüten horchst auf das
Zirpen und atmest tief
den Geruch der Pinien
Wind streicht über den heißen
Sand
das Meer vor dir ausgebreitet
in Türkis bis zum tiefen
Blau am Horizont der
mit scharfer Linie dir
die Trennung zeigt zu
deiner Heimat
So nah ist sie und so
schmerzhaft das
Verloren sein
Das Lachen der Kinder
am Abend das
Aneinanderschmiegen der
Körper der Blick in den
Sternenhimmel
berauscht durch den Klang
der Stimmen
Musik aus vorbeifahrenden Autos
Knattern der Motorräder
So lass mich deine Tränen
küssen wenn Dein Herz zerspringt
vor Trauer und Glück
Wenn die Scherben des
Glases sich um unsere
nackten Füßen legen
und wir darüber
gehen ohne
uns zu verletzen
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BIO
Sia Bronikowski lebt und arbeitet in Wiesbaden.
Seit den achtziger Jahren schreibt sie Prosatexte und Gedichte. Ihre Kurzgeschichten wurden unter dem Titel « Einstieg in Fahrtrichtung rechts » im Unionsverlag, Zürich 2013 veröffentlicht. Seitdem hatte sie viele Lesungen in Deutschland und der Schweiz.
1996 hat Sia Bronikowski eine Galerie für zeitgenössische polnische Kunst gegründet und 2001 den Polnischen Kultursalon e.V., der die Galerie Pokusa unter ihrer Leitung mit herausragenden Künstlern polnischer Akademien betreibt.
Zahlreiche Lyrikbände hat sie für ihre Mutter Rosemarie Bronikowski lektoriert und mit Bildern von Prof. Eugeniusz Józefowski aus Breslau gestaltet.
Nach dem Tod von Rosemarie Bronikowski 2016 betreut sie ihren literarischen Nachlass.