Ruxandra Niculescu
(Rumänien-Schweiz)
Migranten
Sie flüchten – wie immer Menschen:
vor den anderen und vor sich selbst.
Überrumpelt wissen die Gäste nicht
wie weh es tut, endgültig anzukommen.
Am meisten rächen sich die wenigen Dinge
die sie mitnahmen – Grabstätten von Erinnerungen –
Pandora-Büchsen aus denen wie ein welker Duft
der altgewohnte Schmerz der Heimat strömt.
Man kann nicht mehr ins Gefängnis zurück
ohne dass die Wächter es erfahren.
Pamphlet über die Kunstwerke
Tod ist die teuerste Ware.
Besonders Kinder lassen sich in allen möglichen
Sterbenslagen gut fotografieren –
nie sehen ihre zarten Körper widerlich aus
und manchmal hilft man ein wenig nach
indem man sie von einer unwürdigen Stelle
unauffällig weg bewegt
um sie wie Diamanten
in das Juwel einer gewaltigen Landschaft
hinein zu montieren.
Kunstwerke aus Elend entstanden
manche preisgekrönt
gehören wie früher klassische Gemälde
zu unserer Allgemeinbildung.
Wann gehen wir
mit unserem Mitleid
an die Börse?
Apologie
In einer vom Exildolch
kastrierten Sprache zu schreiben
damit man sich nicht verflüchtigt
in allzu vertrauten Metaphern.
Nur sie, die fremde Sprache, feindlich
eingebohrt in dein Schweigen ohne Heimat
bringt das Blut zum Fliessen
aus erträumten Worten.
Ein Sonntagsgedanke
Im Traum trifft man die geliebten Toten
die jetzt nicht mehr altern
man nimmt das Gespräch
das Schweigen den Schmerz
genau dort wieder auf
wo man einst aufgehört hat
doch eine unscharfe Grenze
wie die Haut eines schimmernden Spiegels
trennt noch unser Reich der Vergänglichen
vom Reich der Vergangenen.
Fenster
Die einfachen Dinge des Alltags
abgetragene Schuhe wieder zum Glanz bringen
während man auf eine Nachricht wartet, die alles ändert
Tee in die angeknackste Tasse giessen
und aus dem Küchenfenster schauen
oder aus iregendeinem Fenster schauen
um immer denselben quadratischen Himmel zu erspähen
(nachts blicken noch ein paar Sterne zu uns herab)
aber in Wahrheit schauen wir nicht hinaus
sondern hinein – in ein anderes Fenster
und so weiter immer tiefer ins andere
durch die unendliche Fensterhierarchie
hinein in den Tod.
Filioque
War der gekreuzigte Christus mehr Mensch oder mehr Gott?
Zerrissen von irdischen Qualen
durch den allmächtigen Vater geopfert
für den sündigen Adam.
Von lichtbeflügelten Sternen durch die Äonen getragen
schleift er sein Zungenschwert
damit er eines Tages all die Gotteskinder richtet
die mehr geliebt wurden als er.
Spuren
Es ist nicht wahr, dass sie uns verlassen
wenn ihre Seele aus dem Körper zieht
in weniger leidvolle Reiche –
sie bleiben für immer in uns
wie der Duft von getrockneten Blumen
in einer alten Schublade
die man seit langem vergessen hat zu öffnen.
Weltdrehung
Das Haus ist immer zu Hause
still dreht es sich nach der Sonne
auf den Vogelfüssen.
Wenn du über die Schwelle trittst
steht das Haus mitten im Wald
aber beim Rausgehen durch dieselbe Tür
(nach einer Hausdrehung!)
spürst du den Sand, das Meer an den Füssen.
Du kannst immer wieder rein und raus gehen
es wird jedes Mal eine neue Landschaft –
den Weg zurück findest du nicht mehr
nur das Haus kennt ihn.
Aber das Haus ist überall zu Hause
nachts wenn der ganze Himmel nur Sterne ist
die sich um sich und um alles drehen
dreht sich das Haus nach ihnen
auf Vögelfüssen.
Danach
Nicht aus dem Himmel
überwuchert von Engeln
sondern aus der tiefgründigen Erde
strecke ich zu euch
all die vergammelten Moleküle
wie treibende
Keime aus.
Hilfe
Das einsamste Wort einer Sprache.
Ich weiss nicht, wer du bist, der du mich vielleicht hörst
ich weiss nicht, ob du kommst, um mich zu retten
ich weiss nicht, ob ich dir vertrauen kann, denn ich kenne dich nicht
trotzdem schreie ich aus vollen Lungen: hilf mir
ohne dich bin ich verloren
aber solange ich dich noch rufen kann
kämpfe ich noch, weil ich hoffe.
Wie ein Augenlid schliesst mich die Nacht ein –
ich erkenne die Stimme deines Schweigens wieder.
carpe diem
Der kahle Schädel
mit leeren Augenhöhlen
wie die heimlichen Gucklöcher einer
vermoderten
venezianischen Maske
wer weiss vom wem und wann getragen
im Karneval des Lebens.
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Biobibliographie
Ruxandra Niculescu (früher auch Ruxandra Gheorghita), geboren 1949 in Bukarest, Studium der Philologie, Tätigkeit als Verlagslektorin, Herausgeberin und Übersetzerin. Veröffentlicht Prosa, Essays und Lyrik auf Deutsch und Rumänisch. Heute lebt sie als freie Schriftstellerin in Zürich.
Gedichtbände:
Die Zeremonie der Erinnerung, 1989
Meseria exilului (Das Handwerk des Exils), 1998
Oglinzi părăsite (Verlassene Spiegel), 2001
Die Metaphernwährung, 2013.
Übersetzt ins Japanische, Italienische, Litauische, Slowenische und Tschechische.