Roland Erb
(Deutschland)
GRIECHISCH LIED
Für H.
Du hast gesungen,
es lag ein Aufbäumen
in der Stimme,
alles zerbrochen,
zerfetzt,
nichts als zerstörte Substanzen,
die eben noch
ihren Kern
schützend umstehn.
Natürlich
darf ich nichts sagen,
du singst
nicht überirdisch.
Doch ist es vielleicht
nur dies,
was du tun kannst
zur Zeit.
Du hast es gesandt
in den Raum:
Was bliebe
dir sonst zu versuchen,
die Kehle
eng umschnürt
vom Verstummen.
EXEKUTION
Für Erich Arendt
Symphonien im Dunkel, geschrieben, exekutiert,
verhaltenes Spiel, ein Sturz, ein Notenblatt-Reißen
oder jäh ein Geschoss aus hundertsechs Pauken,
dass die Wogen zerspringen, ihr Pulsen Strömen
glasig der Spiegel glättet.
Lichtkegel, richten sie aus, zerblenden
das Werk dieser Hände, ihr Abstufen sorgsam,
und die Bogen-Ideen mit den glitzernden Schatten.
ABBRUCH
Die Singstimme
schwankte, schien zu
brechen,
langsam,
senkte sich
nieder,
Körper, embryonal,
wie leblos,
die Farben die Töne
grau.
ABHANG DER KÖNIGSDISTELN
Allein sitz ich hier am Gebirg,
die Gipfel kühl in der Sonne.
Zwischen Halmen, vom Windhauch bewegt,
ängstlich die Grashüpfer springen,
sobald sie mein Fuß berührt.
Von fern aus dem Äther dringt
die einsame, stets gleiche Stimme
in die stille, rauchlose Luft.
ABSTELLKAMMER
Ich weiß nicht,
es klang irgendwie nach Abschied,
als du das verbogene Blechding
an die Lippen hieltest,
nur so zum Spaß,
und aus dem Trichter
ein paar
dumpfe, groteske Töne
quetschtest.
Ach, dass es selten glückte,
den grauen Kittel
vom Körper zu reißen, ich schalt
dich, du solltest
dein Strahlendes zeigen, mit Freude
spalten
den widerständigen Kern.
Du wolltest
Frühjahrsputz halten,
aussortieren
das Alte, Zerscherbte,
und Neues in Angriff
nehmen, da
klang es auf einmal,
nicht aufzuhalten,
aus rostiger Fanfare
Adieu.
HINTER DIE OHREN
Fährst mit dem Fuchsschwanz durch seine Rede
ritsch ratsch, lässt ein paar Zickzacken stehn,
die Vokale a, i, sechs schnarrende schlappende
Mit-Laute, das was dem geschundenen Mund,
was jetzt noch hervortritt, ein glucksender Ton ah-ra,
unterbrochenes Eselsgeschrei, Schnaufen Schnauben des Pferds,
dem man Eisen ins Maul stößt. Du hast
nach dem Zerrwanst gelangt, uns aufgespielt,
ja! Jetzt das uralte Lied! Das wir
lieben!
IMPRESSION FRANKFURT
War abends einmal in der Alten Oper,
Fadomusik, dann ein Sermon politisch, der nicht enden wollte,
ich machte in der Pause mich davon,
empfahl mich vom Gastgeber auf Französisch
in Richtung Hauptwache und Zeil,
die Schuh-Vitrinen neidisch zu beschnuppern.
Es regnete, ich wollte rechts unter Arkaden
im Dunkeln Zuflucht suchen, aber andere
hielten den trocknen Platz besetzt,
vor Fenstern einer Bankfiliale
auf meterlangen Pappverpackungsresten liegend
und zugedeckt mit Pferdedecken und Pullovern,
ihr Hab und Gut zu ihren Häupten hütend,
einer wühlte mit schmalen Fingern in der Reisetasche.
Nachtruhe herrschte, sie schnaubten ärgerlich
und wünschten knurrend mich mit Fug zum Kuckuck.
FRIEDENSGEBET 89
Im Hohlraum, im
Ausgehöhlten,
erdrosselt von
Mauern,
als die Horchenden
schweigend saßen
beim Singen,
erhob sich funkelnd
die Stimme
von einst.
Kein Engel
im Flammenkleid
auf der Empore,
kein Quell
aus der Felswand.
Erwartung, Hoffen
ins Blau.
Und noch
schien nicht alles
zertrümmert.
TORSO
Dein schützend gestreckter Arm,
als du jäh hieltest, das maskenhaft weiße
Gesicht plötzlich zerfahren, dann lachend
und wieder entspannt im Licht, die angriffs-
lustigen Worte klirrend heiter, sich stoßende
Stangen Getriebe, ein fröhliches Chaos von Klängen,
des Körpers Biegung, das scheinbar gelassene
Rauchen, ein lautloser Vorhang zieht
vors bewegte Leben. Ich such
mir Stücke zusammen.
KATZENMUSIK
Ausgeliefert wieder scheinst du –
Hölzerknalln und Schmutz und Grinsen,
Katzenkreischen, Hundebelln –
mutlos, wo so viele stumm sind,
ängstlich ihre Hälse einziehn.
Und du rennst hinaus ins Weiße,
Licht und Staub wie Pulverdampf,
und um deiner Kinder Schreien
schreist du in die Glattgesichter,
und dein Körper ist ein Ziel.
Nichts mehr scheint zu retten, auch nicht,
wenn du in die Kniee gehst.
Musst dem Licht entgegen preschen,
bis die Augen klarer sehn.
FOTO DER ACHMATOWA IM JAHR 1925
Die Hand
legt prüfend sie
an ihre Kehle,
als wollt sie fühlen,
dass sie bei Stimme sei
und dass der Hals ihr
noch verblieb,
der schön geschwungene.
Die Augen schienen
eben doch zu lächeln,
die Lippen leicht geöffnet,
blickt ins Ferne sie.
Und ahnt und
weiß?
TROTZ ALLER FEINDLICHEN NACHRICHT
Trotz aller feindlichen Nachricht
die schwachen Signale der Nähe.
Ein unverständliches Lied,
das die Nachbarin summt
hinter der Wand,
das Bild einer bizarren Landschaft,
das du mir bringst und
gleich danach wieder versteckst,
das unerwartete Aufbegehren
des Mannes dort, den ich nicht kannte,
gegen Unrecht, Gleichgültigkeit,
der durch Postleitzahlen geirrte
Brief des verschollenen Freundes.
(Rechtsnachweis: Die Gedichte Exekution, Abstellkammer, Hinter die Ohren, Impression Frankfurt, Friedensgebet 89, Torso, Foto der Achmatowa im Jahr 1925 und Trotz aller feindlichen Nachricht wurden mit freundlicher Genehmigung des Leipziger Verlages poetenladen dem Band „Trotz aller feindlichen Nachricht“ (2014) entnommen. Die Rechte für die übrigen Texte liegen beim Autor.)
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ROLAND ERB – KURZE BIOBIBLIOGRAPHIE
1943 geboren in Töppeln (Thüringen), 1944 Königsberg (Neumark), 1945-1961 Nordhausen
1961-66 Studium der Romanistik an der Karl-Marx-Universität Leipzig, 1977–78 Sonderstudium am dortigen Literaturinstitut
1966 – 1972 Verlagslektor, 1990 Bahnpostarbeiter, 1994 – 1998 Mitbegründer und Chefredakteur der Literatur- und Kunstzeitschrift „Ostragehege“
Lebt als Lyriker, Erzähler, Herausgeber, Literaturübersetzer in Leipzig
1976 Studienaufenthalt in Rumänien
1987 Stipendium der Association pour une entr’aide culturelle européenne (Paris)
1988 Rainer-Maria-Rilke-Stipendium der Stiftung Valmont (Montreux)
1993 Aufenthaltsstipendium des Französischen Außenministeriums
1995 Aufenthaltsstipendium der BRD in Olevano Romano
1999 Stipendium des Freistaates Sachsen
2000 Literaturstipendium der Konrad-Adenauer-Stiftung
2000 Mihai-Eminescu–Medaille der Republik Rumänien
Veröffentlichungen (Auswahl):
Boris Pasternak: Meine Schwester – das Leben. S.Fischer, Frankfurt, 2015 (Teil-Übersetzung)
Natalka Bilotserkivets: Herbarium, in: Gedichte von Welt. Leipzigs Partnerstädte. edition
kunst & dichtung, Leipzig, 2014 (Ü., zus. mit Marga Erb)
Roland Erb: Trotz aller feindlichen Nachricht. Gedichte. Poetenladen, Leipzig, 2014
Der Mars vor der Haustür. Anthologie. VentVerlag, 2012 (Herausgabe, Erzählungen)
Mihail Sebastian: „Voller Entsetzen, aber nicht verzweifelt“. Tagebücher 1935-44. Claassen,
Berlin, 2005 (Übersetzung, zus. mit Edward Kanterian)
Wozu das Verlangen nach Schönheit. drei-eck Verlag, Heidelberg, 2003 (20 Gedichte)
Rainer Maria Rilke: Ich, das Gold, das Feuer und der Stein. Gedichte. Reclam, Leipzig und
Stuttgart, 2001 (Herausgabe, Nachwort)
Christoph Kolumbus, Schiffstagebuch. Reclam, Leipzig u. Stuttgart, 2001 (Übersetzung und
Nachwort)
Roland Erb, Märzenschaf. Gedichte. Hellerau Verlag, Dresden, 1995
Jorge Amado, Der gestreifte Kater und die Schwalbe Sinhá. Herder, Freiburg, 1995 (Ü.)
Boris Pasternak: Prosa und Essays. Aufbau, Berlin, 1991 (Teil-Ü. mit Marga Erb)
Boris Pasternak: Gedichte und Poeme. Aufbau, Berlin, 1993 (Teil-Übersetzung)
Tudor Arghezi: Der Friedhof. Roman-Poem. Die Andere Bibliothek, Eichborn, Frankfurt,
1991 (Übersetzung, Nachwort)
Jewgeni Samjatin: Wir. Roman. Gustav Kiepenheuer, Leipzig, 1991 (Ü. zus. mit Marga Erb)
Philippe Soupault: Bitte schweigt. Gedichte und Lieder. G. Kiepenheuer, Leipzig, und
Wunderhorn, Heidelberg (Herausgabe, Übersetzung)
Nicht allein im Rosental. Anthologie. Holz Verlag, Berlin, 1989 (15 Gedichte)
Michail Lermontow: Der Dämon, in: Ausgewählte Werke, Rütten & Loening, Bln., 1987 (Ü.)
Panait Istrati: Neranzula. Dieterichsche Verlagsbuchhandlung, Leipzig, 1987 (Ü.,Nachwort)
Boris Pasternak: Luftwege. Reclam, Leipzig, 1986 und 1991 (Teil-Ü. mit Marga Erb)
Gunnar Ekelöf: Es ist spät auf Erden. Gedichte. Volk und Welt, Berlin, 1986 (Ü. und N.)
Jorge Amado: Das Land der goldenen Früchte. Goldmann, München, 1987 (Übersetzung)
Helmut Bartuschek: Die Häutung des Schlangenkönigs. Insel, Leipzig, 1984 (Herausgabe)
Ugo Foscolo: Die letzten Briefe des Jacopo Ortis. Insel Bücherei, Leipzig, 1984 (Teil-Ü., N.)
Gabriela Mistral, Poesiealbum. Neues Leben, Berlin, 1983 (Auswahl, Teil-Ü.)
Roland Erb: Die Stille des Taifuns. Gedichte. Aufbau, Berlin, 1981
Mihai Eminescu: Hunderte von Masten. Insel Bücherei, Leipzig, 1981 (Herausgabe, Teil-Ü.)
Joris-Karl Huysmans: Gegen den Strich. G.Kiepenheuer, Leipzig, 1981 (Herausgabe, Teil-Ü.)
Mihail Sadoveanu: Bärenauge. Erzählungen. Insel Bücherei, Leipzig, 1980 (Ü., Nachwort)
Französische Lyrik der Gegenwart. Volk und Welt, Berlin,1979 (Teil-Übersetzung)
Nicolás Guillén: Poesiealbum. Neues Leben, Berlin, 1978 (Auswahl, Teil-Ü.)
Eugenio Montale: Poesiealbum. Neues Leben, Berlin 1978 (Auswahl, Teil-Ü.)
Cesare Pavese: Klar und verlassen gehen die Morgen. Volk und Welt, Berlin, 1978 (Teil-Ü.)
Alejo Carpentier: Barockkonzert. Roman. Volk und Welt, Berlin, 1977 (Übersetzung)
Ioan Slavici, Novellen aus dem Volk. Reclam, Leipzig, 1976 (Herausgabe, Nachwort)
Miguel Otero Silva: Ich weine nicht. Roman. Volk und Welt, Berlin, 1975 (Übersetzung)
Reise zum Ursprung. Kubanische Erzählungen. Reclam, Leipzig,1973 (Übersetzung)
Mihai Eminescu: Engel und Dämon. Leipzig, Reclam, 1972 (Herausgabe, Teil-Ü.)
(Gedichte von Roland Erb wurden ins Bulgarische, Katalanische, Persische, Polnische, Portugiesische, Rumänische, Spanische, Tschechische und Ukrainische übersetzt.)