Nicolae Coande
(Rumaenien)
Poesie, Zeit und deutsches Bier
Ich bin derart schüchtern, dass mir einfach
kein Grund einfällt
weswegen ich bereit sein sollte, mit den
Verbrechen gegen die Menschheit aufzuhören –
aber auch die Grande Dame ist ja nicht mehr, was sie mal war.
Ich tröste mich bei dem Gedanken, dass ich in eurem Bad
zu Besuch war, und euer Bad hat mir gefallen.
Stets zu schreiben, bedeutet, ständig müde zu sein.
Solange wir denn noch Zeit und deutsches Bier haben
will ich euch etwas Wichtiges mitteilen – die Poesie
ist auch ein bisschen Strychnin des Lebens:
beschafft euch beizeiten einen Vorrat davon.
Das deutsche Bier zählt.
Der Ruhm ist auch vergänglich.
Schüchternheit in der Kunst ist keine Entschuldigung.
Als ich im Licht der Kunst stand
Die Dinge schienen klar am Boden
des Glases
jenseits des Deckels quiekte
die Sonne
unter uns könnte es
Verbrecher geben.
Schwalbengift
bitte.
Das Unterbewusstsein eines Kritikers
Ich lebe in der größten Geschwindigkeit der Stille
in der Wirklichkeit eines Bellens
im Unterbewusstsein eines Kritikers aus Rumänien
in seiner gesunden Sprache
in seinem Gesabber
in seinen tausend Sinnen
ohne Unterbewusstsein
des Dus des anderen würdig
bin hier
bin weggegangen-geblieben
bin gekommen-nichtangekommen
unterwegs mit abgelaufenem Pass
ein inspiriertes Bellen.
Nicht wieviel Poesie ich schreibe – wieviel ich
im Gedächtnis behalten kann, zählt.
Vor soviel Frieden
führt das Deutsche Selbstgespräche auf Bahnhöfen.
Gleich
Die Tage, an denen man keinen Bierkumpel findet
kommen mir verdächtig vor
wie die Frauen, die von ihren Geliebten
an ihren Geburtstagen mehr Aufmerksamkeit fordern.
Aber wir sind ja gleich in der Kraft des Trinkens und des Verbergens
unermüdlich darin, den morgigen Tag zu verschenken.
Was soll man mit dem Verstand von heute anfangen, an dem alle
sich ihre Füße und Nase abwischen?
Ein Messer dann zu filmen, wenn es glaubt
keiner sieht es – das ist Geschichte.
Ich bin ein totaler Schuft geworden
aber noch ist mir nicht klar, dass ich am Ende bin.
Die Tage eines anderen zehren mich auf.
Dichter totenkopf
Ich suche im kopf, was im herz ist
bin kaum aufgewacht, und das leben geht zu ende
ich denke an den ruhm, der kommt und vergeht
es ist morgen, ich bekomme was ab vom leichenmahl
esse am haupt des dichters
bin etwas müde vor unwissenheit
die leute sind scharf auf diplome
dichterbiographien und hundegräber
ein schmetterling, der auf dem sperma des buchstaben Alpha sitzt
wedelt fröhlich mit dem schwanz
dichter totenkopf
das herz bellt mit einer kraft, die die hühner
in der nachbarschaft aufschreckt.
Es ist gut
Amerika ist gut: es veranlasst die welt, schneller
zu vergehen.
die kleinen geschöpfe des sommers gurren glücklich
das numinose schwillt an in ihren kehlen, summt
wie die bienen in der wabe, die vom betrunkenen imker
aus versehen angezündet wurde
das Sozialsynhedrion hat abgestimmt
die integrale realität füllt mit wachs
die knochen der troglodyten
es ist gut
die geometrie der schwachköpfe ante portas.
Deutsch von Michael ASTNER
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ist einer der bedeutendsten rumänischen Schriftsteller der Gegenwart. Besuch der Fakultät für Philosophie und Soziologie. Herausgeber mehrerer literarischer Publikationen (LaAMA, SpectActor usw).
Zurzeit ist er Dramaturg beim Nationaltheater „Marin Sorescu“, Craiova.
Er hat dreimal den Preis des rumänischen Schriftstellerverbandes bekommen (1995, 1997, 2002); viele andere literarische Preise (Preis der kulturellen Zeitschriften Mozaicul, Ramuri, Hyperion).
Stipendiat der “Heinrich Böll”-Stiftung (November 2003-März 2004) und der Stiftung Künstlerdorf Schöppingen (Juli-September 2008).
Er ist in einigen in Rumänien und im Ausland erschienenen Anthologien vertreten: Gefährliche Serpentinen – Rumänische Lyrik der Gegenwart, Druckhaus Verlag, Berlin 1998 (Hrsg. Dieter Schlesak); Jahreszeiten, Tagesanbrüche. Literatur und Kunst im Heinrich-Böll-Haus Langenbroich”, Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin, 2006; Marin Mincu: O panoramă critică a poeziei româneşti din secolul XX, Pontica Verlag, 2007; Cele mai frumoase poeme din 2010, Tracus Arte Verlag, 2011, (Hrsg. Claudiu Komartin şi Radu Vancu); Noua poezie nouă. O antologie a poeziei române postmoderne, (Hrsg. Dumitru Chioaru), Limes Verlag, 2011; Anthologie der literarischen Kolonie Čortanovci (hrsg. von dem Serbischen Schriftstellerverband), Belgrad, 2010; Of Gentle Wolves, Calypso Edition, New York, USA, 2011, (Auswahl und Übersetzung Martin Woodside); The Vanishing Point that Whistles: An Anthology of Contemporary Romanian Poetry, Talisman Houses, (Hrsg. Paul Doru Mugur, Adam Sorkin& Claudia Serea), USA, 2011
Werke:
Lyrik: În margine (Am Rande), Ramuri Verlag, 1995; Fincler, Ramuri Verlag, 1997; Fundătura Homer (Homer Sackgasse), Dacia Verlag, 2002; Folfa, Vinea Verlag, 2003; Vînt, tutun şi alcool (Wind, Tabak und Alkohol), Brumar Verlag, 2008, Femeia despre care scriu (Die Frau, über die ich schreibe), VorbaIago, antologie, Ed. Măiastra, 2012, Persona, antologie, Ed. Măiastra (2013)
Essays und Interviews: Fereastra din acoperiş (Das Fenster im Dach), Fundaţia Scrisul Românesc Verlag, 2005
Celălalt capăt (Das andere Ende) – Interviews, Curtea Veche Verlag, 2006, Revanşa chipurilor (Die Revanche der Gesichter), Intelectualii români și Curtea regelui, Tracus Arte Verlag, 2011;