Mark Behrens
(Deutschland)
Sprachlos eins
Schreib‘ ein Gedicht über die Schoah
heißt,
schreib‘ ein Gedicht ohne Worte
heißt,
erfinde deine Sprache neu
heißt,
erfinde dich neu.
Es gibt kein Wort wie Schoah
in der Sprache der Täter.
Sprachlos zwei
Doch sollen wir schweigen?
Wir,
die Mauerüberwinder,
die Lichterkettenbilder?
Komm‘ in meine Stadt,
berühr‘ die Steine der Synagoge,
die wieder steht und
grüß‘ den Rabbi von mir,
wenn du ihn siehst.
Sollte man das ändern,
sind wir wieder sprachlos.
Sprachlos drei
Oder geh‘ mit mir an einen dieser Orte.
Geh‘ mit mir
nach Auschwitz,
Buchenwald,
Theresienstadt,
Bergen Belsen,
Dachau,
Gurs
oder auch nur
nach Petershagen/Lahde.
Setzen wir uns.
Wir müssen nicht sprechen.
Du fühlst den Schmerz
an diesem Ort.
Lass‘ ihn an dich heran,
dann trockne deine Augen,
wir gehen zurück ins Jetzt,
denn heute sind wir frei.
Mit jedem Schritt schwindet
die Schwere der Trauer,
doch die Trauer nicht.
Die Worte kehren zurück.
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Mark Behrens, geboren 1973 in Minden, studierte Literaturwissenschaft an der Uni Bielefeld. Er war Mitarbeiter bei der 3. Auflage von Kindlers neuem Literaturlexikon und schreibt für das Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur (KLG). Gedichte, Kurzgeschichten und Essays erschienen außerdem in verschiedenen Literaturzeitschriften. 2013 bekam er den Debütpreis des Pop Verlags für seinen Roman „Zwei Seiten“, im Jahr darauf erschien ein Buch über Übersetzungsliteratur, „Charles Baudelaire bei Max und Margarete Bruns“. Mark Behrens ist Mitglied in der europäischen Autorenvereinigung „Die Kogge“ und im Verband deutscher Schriftsteller (VS).