Hellmut Seiler
(Deutschland)
Der Maulwurf
Wenn du aus schwarzem Ton den Maulwurf
geformt hast, musst du ihm nur noch
Leben einhauchen:
das Eingraben besorgt er selber.
Hälfte des Sonntags
Am Max-Eyth-See, im April
Gelb schießt ins Kraut das Rohr.
Rauch beißt sich fest in den Augen
der Bläßhühner. Ein Kahn kippt um,
lautlos. Gluckernd verebbt Lachen.
Und silbern von Küssen
dreht der Weiher sich
auf die andre Seite.
Dreipunktlandung
(bezeichnet die Landung eines Spornradflugzeugs, bei der die drei Räder
gleichzeitig aufsetzen. Gilt als Hohe Kunst der Fliegerei)
I. Notlandung
nenne ich die holprige, stolpernde Landung der Not
auf den Nullsinnsrouten falscher Versprechungen
zu einer Zeit, in der die Versprecher sich suhlen
in ihrem kunstaromasonnendurchfluteten Verrat
II. Bauchlandung
ist der Plätscher im Schwimmbad vom Dreier,
fast ohne Angst, doch zur Belustigung derer angetreten,
die bei der Fete danach die Mädels ihrer Unschuld beraubten,
die du mit deinem Sprung in die Tiefe beeindrucken wolltest
III. Mondlandung
schließlich nenne ich die weiche Landung des Mondes
im Gasthaus „Drübbelken“ in der Münsterschen Altstadt
auf dem Schaum zweier süchtig machender Pinkusbiere
am Reformationstag ungefähr fünfhundert Jahre danach.
Gartenclogs
Der Vorteil des Alterns, also einer gewissen Erfahrung, ist,
dass, wenn ich in meine schon lang an der Sonne liegenden
Clogs steige, und plötzlich einen brennenden Schmerz verspüre,
ich nicht genau weiß,
ob mich eine aus verrücktem Höllenschlund
wahnwitzig verirrte Tarantel auf Abwegen beißt –
oder eine bewusstseinserweiternde
Sinnestäuschung auf mich scheißt.
Es könnte ja immer noch sein,
dass ich gut dabei wegkomme.
Giacometti
Nach grünen Verwandlungen und
einem gründlich verzogenen Pers-
pek-
tief-
wechsel eine klare Ein-
fachheit im endlichen Auge
des Betrachters
so
dass er sich selbst
darin sieht, und wie
beinnah ein Bein dabei flieht.
Was aber steht da
vorweggenommen
auf einem Bein?
Es ist keine Kunst
zu erkennen:
Es ist das Bein selber.
Gleitschirmflieger
Über Burg Hohenneuffen, am 20. Mai 2017
Farbflecke zuerst, ein Hellblau, einer grün,
gestreift, einer tiefrot gesprenkelt.
Plötzlich ein Windstoß, von überall,
Wolken zerstieben und – wo sind sie? – Da!
Dünne Streifen, dann ein Strich, nein, zwei
Vor den aufgetürmten Riesen, die sich wölben,
stülpen übereinand’.
Einen habe ich verloren, aus zwei Punkten
Wird bald ein Pünktchen, das der Himmel
Unaufgeregt und in aller Stille aufsaugt.
Streichhölzchen
Streichhölzchen, Eichhölzchen,
Weichzeichner Streichelhölzchen,
Streicheleinheiten Harthölzchen,
Weichmacher Weichhölzchen.
Eichelhölzchen in Streicheleinheit
mit Hartmacherbrauch –
Spiegelhölzchen im Streichelzoo
Bauch
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* 1953 in Rupea/Rumänien, Studium der Germanistik und Anglistik.
1985-88 Berufs- und Publikationsverbot in Rumänien, seither in der Bundesrepublik.
Mitglied im VS (2006 ausgetreten), in der GzL und im Internationalen P.E.N., seit 2014 Generalsekretär dessen Zentrums der Schriftsteller im Exil deutschsprachiger Länder (kurz Exil- P. E. N.).
Veröffentlichungen:
„die einsamkeit der stühle“, Gedichte, Dacia Verlag, Cluj/Klausenburg 1982;
„siebenbürgische endzeitlose“, Gedichte, dipa Verlag, Frankfurt a.M. 1994;
„Der Haifisch in meinem Kopf. Erzählungen“, Swiridoff Verlag, Künzelsau 2000;
„Schlagwald. Grenzen, Gänge“, 77 Gedichte u. Exkurse, Buch & medi@ Verlag, München 2001;
„Glück hat viele Namen. Satiren“, Esslinger Reihe 32 im Verlag Die Künstlergilde e. V., Esslingen 2004;
„An Verse geheftet“, 77 Gedichte und Intermezzi, Pop Verlag, Ludwigsburg 2007;
„Padurea de interdictii“, Gedichte und Aphorismen in rumänischer Übersetzung, Limes-Verlag, Cluj/Klausenburg 2007;
„Dieser trotzigen Ruhe Weg“, Gedichte, Gnomen, Gedankensplitter, Edition Bärenklau, 2017
(in Vorbereitung).
Übersetzungen:
IN: „Gefährliche Serpentinen. Rumänische Lyrik der Gegenwart“, Edition Druckhaus, Berlin 1998;
IN: Rodica Draghincescu: „Phänomenologie des geflügelten Geschlechts“, Gedichte, Edition Solitude, Stuttgart 2001;
Ioan Flora:“Die Donau – leicht ansteigend“, Gedichte, Pop Verlag, Luwigsburg 2004;
Emilian Galaicu-Păun: „Yin Time“, Gedichte, Aus dem Rumänischen, Pop Verlag, Ludwigsburg 2007;
Robert Şerban: „Heimkino, bei mir“, Gedichte aus dem Rumänischen, Pop Verlag, Ludwigsburg 2009.
Zahlreiche Beiträge (Glossen, Literaturkritik, Lyrik, Aphorismen, Satiren, Übersetzungen, Sprachkritik) in Anthologien, Jahrbüchern, Zeitungen, Literaturzeitschriften und Tonträgern sowie (vor allem Gedichte) in englischer, französischer, griechischer, russischer, tschechischer, siebenbürgisch-sächsischer, ungarischer und rumänischer Übersetzung.
Auszeichnungen:
– Adam-Müller-Guttenbrunn-Preis 1984;
– Literaturpreis der Künstlergilde, Esslingen, für Prosa 1998;
– Literaturpreis der Künstlergilde 1999 (1. Preis für Lyrik);
– Stipendium des „Writers’ and Translators’ Centre of Rhodes“ als “Poet in Residence”, Mai-
Juni 2000;
– Würth-Literatur-Preis 2000 der Tübinger Poetik-Dozentur;
– Gewinner des Wettbewerbs „Lyrik in einem Zug“ des Ministeriums für Wissenschaft,
Forschung und Kunst Baden-Württemberg und der Deutschen Bahn AG 1997 und 2001;
– Reinheimer Satirelöwe 2002;
– Irseer Pegasus 2003 (Hauptpreis).