Harald Gröhler
(Deutschland)
Eidolon mit Atompilz
Jemand Kleines befiehlt; nichts da!
Personen, die in einem
Flugsimulator
saßen, dürfen danach
vierundzwanzig Stunden kein Flugzeug mehr steuern.
Auf der Brücke steh ich,
und diese Brücke
montierten sie
aus Brettern
und verborgenen Schrauben. Mancher
glaubt bei der Brücke auch
an nicht sichtbare Balken, sie
sie ist eine Traumbrücke, denn überall –
wohin ich mich wende –
sind Löcher aus ihr herausgefault,
durch die ich und jeder
hindurchfallen kann.
Aber die Brücke erreicht kein Traum, sie
läuft in Rummelsburg über den Fluss,
und wie viel sind schon hinuntergekollert,
achtlose Träumer zuerst, zur
falschen Zeit Hölzerne, Schlaftrunkne,
Flieger?
Der Fluss versickert für dreißig Minuten;
wäre das Flüsschen,
denk ich
bös stürzend,
doch wenigstens rein! – wenn schon die Hölzer
schimmlig zerpickt.
Hinter mir
Rückwärts.
Rückwärtsgehend oder
rückwärtsblickend, und ein
Stück Glas,
das mir dazu verhilft. Mein zweiter,
krebsiger Bruder stirbt
so wie der erste. Ich
rasiere mich, vor offenem Fenster.
Die Blätter
bewegen sich im Spiegel noch immer,
nur entgegengesetzt.
Rechts und links vertauscht,
oben
und unten
bleiben aber oben und unten. Damit
werd ich nicht fertig.
Oder hat Felix
mich wach gemacht?
Komisch
sind die Spiegel für mich geworden:
bautz,
perlicke, perlacke, bin ich mit ihnen in einer
toten und sich bewegenden
Welt.
Deshalb
die Spiegel verhängen,
wenn mein brother stirbt?
Nichts Bewegliches soll
die Stille des Toten
stören?
An der Starre des Todes
teilnehmen –.
Und was
sind die Widergänger.
Der Spiegel schafft
dem Widergänger und mir
etwas Fremdes:
eine bewegte, trotzdem nicht atmende Welt.
Ich seh etwas;
und wenn ich ‘s fassen will –
nichts. Das Gesehene
gibt es dort nicht.
Also weg
die Wirklichkeit?
fragen Leute
und fragt der keuchende, schiebende Krankenpfleger.
Nein, nicht weg, sie
teilt sich im Spiegel nur.
Mein Bruder, – ich fuhr noch einmal zu ihm.
… Infos zusätzlich
geben die Spiegel,
und sie verwandeln doch
die drei
Dimensionen in zwei. Hilfe
durchs Unräumliche.
Führt mich das wieder zu den Toten
(vor der Klinik
ist ein Spiegel; für die sechs- und vier-
rädrigen Wagen),
und vertauscht mein Bruder
Dimensionen genauso,
just wie die Spiegel?
Geht er
in die nullte Dimension?
So fremd wie das Wort
wär der Ort der Gestorbnen.
Mit einem Spiegel ihm
Wärme hinleiten.
Dass dies möglich ist!
Winterlich-ferne Sonne ihm in den Nacken werfen;
mit dem Spiegel
das Land der Toten erreichen, ich
komme auch langsam näher.
Ein Gegenstand
ist der Spiegel,
der alles von hinten sehen lässt.
Mich aber zeigt er
mir
von vorn, mich als einziges;
wenn ich mich sehn will,
sagt Felix matt,
muss ich hinter mich treten. Er lächelt.
Der im Spiegel, sagt er,
ist herumgedreht.
Rimbauds Vexierbild
Gleichgültig schaut er
in die auf ihn gerichtete Pistole
und die auf mich gehaltne Mündung.
Aufspringen nicht einmal bei einer Waffe;
nur ständig nach der Milch hochjagen,
der überkochenden.
„Schnapp dir Oliven.“
Schnapp ich mir Oliven,
vielmehr bittre Vogelbeeren,
und ich trau mir
mit Hilfe beider Daumen an den Händen
die gotteslästerlichste Untat zu, ich zweifle.
Dazu die kölsche Sünde:
ich sprech nicht, sondern singe. Pulsschlag?
Puls
wird uns von meiner Braut gewährt.
Pardon -, ein Schaf,
wer nach der Trauung und der Einheitsschur
brav
unters geile Bräutlein fährt.
„… jetzt lass doch meinen Arsch in Ruh.
Husch,
sorg für frische Butter.“
„Frischre?“
„Schuss! Husch.
Pfeif doch auf meinen!“
Nützlich ist dazu nur
die Trillerpfeife –
die in derselben Gasse patrouilliert
samt trillerndem, dran hangendem Gendarmen.
Schräger Poet,
kauft Knäste oder Waffen,
verkauft auch richtig wieder und
streitet ab,
Mädchen für Frauen,
Frauen für Schafe anzugaffen. Darum ist das
durchlochte Model voll beleidigt.
Freut ihn das?
„Mich freut’s. Kein bisschen.“
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Geboren in Hirschberg, aufgewachsen in Nordbayern. Wilde, wüste Trampfahrten durch ganz West- und Südeuropa und bis nach Kleinasien. Studium Philosophie in Göttingen, Kiel, Köln. Literaturkritiker (vor allem für den Westdeutschen Rundfunk und für die Frankfurter Allgemeine Zeitung), Pressefotograf (Veröffentlichung von insgesamt fast 120 verschiedenen Personenphotographien in deutschsprachigen Medien), danach freier Schriftsteller. Langjährige Mitarbeit bei der französ.-deutsch. Zeitschrift „documents / Dokumente“. Gründete die „gruppe INTERMEDIA, die 2 Jahre öffentlich auftrat. 1 Jahr Mitglied einer literarischen Jury. Gröhler hatte Gastprofessuren (Literatursoziologie) an 2 Staats-Universitäten in USA (Texas; New Mexico) inne. 13 Buchveröffentlichungen bisher. Beiträge in 90 Anthologien. Einzelne Texte Gröhlers sind in bisher 8 Sprachen übersetzt worden. Gröhler ist unter anderem Mitglied des deutschen P.E.N.-Zentrums und der Deutschen Gesellschaft für Philosophie. Verschiedene literarische Preise und Stipendien; z.B. 2002 UNESCO-Stipendium Baltic Centre Visby, Schweden. Er erhielt 1991 den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland. Zuletzt, 2010, bekam er den 1. Preis des Inge-Czernik-Förderpreises Lyrik. Gröhler ist aufgeführt in 11 verschiedenen Who’s Who’s. Er lebt in Berlin.
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