Dariusz Tomasz Lebioda
(Polen)
DAS BLUT DES EINHORNS
dein schädel ist eine schale in der das bewußtsein brennt
in der rote flammen des traumes glimmen du schaust
in die dunkelheit und siehst inmitten des sternenwindes
schwindende
zentauren
du bist ein versprechen des paradieses und eine drohung der hölle
trägst in dir ein kind und einen blut
trinkenden greis mit zarathustras
mitra
dein schicksal ist die ewigkeit
aber du wirst sie niemals erleben
dein schicksal ist der tod
aber du wirst ihn niemals berühren
dein schicksal ist das dasein
aber du existierst nicht –
deine empfindsamkeit reizt einen auf
dem thron sitzenden blinden zwerg in seidenem
ornat
deine empfindsamkeit mildert den ärger
eines kristalleinhorns
du schaust in die dunkelheit und siehst das goldene gesicht
des pharaos eine terrakotta-armee des ersten
kaisers
den weißen raumanzug aldrins und totems aus ebenholz
tabletts aus gold und denare hadrians
du siehst wie der kopf maria stuarts fällt wie sand
züge von karawanen beruhigt und ausgestorbene städte
du schaust in die sterne und wirst zum augapfel des weltalls
du senkst deinen kopf und bist eine träne auf der wange
eines faun
vor dir sind viele verwirrende wege
viele verlorene augenblicke
hinter dir ist der erste tag und die erste nacht
vor dir der letzte
traum
Übersetzt von Karl Grenzler
SCHWARZE SEIDE
ich stehe am rande des weges nicht größer
als ein käfer oder nachtfalter
nicht größer als die träne der amsel
oder der stein einer aprikose
nicht größer als das korn
eines flachses und die augenwimper eines rehes
– mit angst hebe ich
meinen kopf hoch
ich höre wie
die schwarze seide
der ewigkeit flimmert
Übersetzt von Karl Grenzler
MUTTER TERESA AUS KALKUTTA
im sari für einige rupien bekleidet
liegt bewegungslos
der körper der mutter
teresa
es kommen menschen
aussätzig
hungrig
schmutzig
sie verbeugen sich und sagen
hare kriszna hare
hare
und sagen: ave maria
gratia plena
ihre verstümmelten söhne
leidenden töchter
– angeblich träumte sie irgendwann
dass sie an himmlischen
toren stehenblieb
und der heilige petrus sagte:
gehe zurück – hier haben wir
keine slums –
na dann und sie kehrte zu ihren krüppeln
und ungewollten kindern zurück
sie kehrte zu den schwestern den aufseherinnen
der bitteren barmherzigkeit zurück
gütiger gott finde für sie
irgendwelche himmlische leprosorien
finde für sie verkrüppelte
engel und vergessene
heilige
erlaube ihr über die ganze
ewigkeit hinaus
wunden
deines Sohnes
zu verbinden
Übersetzt von Karl Grenzler
* * *
gott schaut auf die welt sieht dampfschiffe den atlantik
überqueren preußische regimente marschierend auf königsbergs straßen
erste glänzende automobile modische hüte
kurze kleider von tänzerinnen
sieht wellen von blut der die geschütze schleppenden soldaten
dreck der schlachtfelder einen über die macht nachdenkenden korporal hitler
schwarze vögel von pulver über bayern und der provence
mütter irrer samurais aus schanghai gebären
mörder und priester
schaut – dorthin wo man nackte menschenmengen in gaskammern
zwängte dorthin wo man verbannte über russlands wege führte
dorthin wo fahnen flackerten dorthin wo freud eine vorlesung über
das menschliche ego hielt marlene dietrich ihre strümpfe
glättete
gott blinzelt mit den augen – vor den mauern stehen menschen die
die welt bald vergessen wird tausende finger betätigen die abzüge
von gewehren jossif wissarionowitsch stopft seine pfeife in der sonne
afikas glänzt tutanchamuns maske durch den lärm
amtlicher berichte dringt das dritte
klavierkonzert beethovens
gesichter und bilder flimmern – glas und eisen birst quecksilber und
marmor verdampfen motoren arbeiten mit höchster
drehzahl der schatten des eiffelturms rückt
an die seine
über die alpen fließen die schatten von zeppelinen und messerschmitten
pius der zwölfte neigt sich über das mikrophon mutter theresa
aus kalkutta wischt die träne eines kindes ab fallen mit blut befleckte throne
oje jahrhundert oje oje jahrhundert – lacht jesienin charlie hebt
seine melone in die kühle des alls fließt die pavane auf den tod
der infantin
die mark steigt der dollar fällt der rubel brennt
wie eine aus dem nagant geschossene ladung
gott schaut
auf die welt
Übersetzt von Karl Grenzler
KLAGELIED DER NEUEN ZEIT
am ende des XX. jahrhunderts schaue ich in die dunkelheit der nächsten epoche
schon morgen werden unschuldige geschöpfe geboren und kain wird abel töten
es wird nicht enden dass tränen fließen es wird nicht aufhören dass blut tropft
kein messias kommt die zeit wird nicht enden
armeen werden in den transparenten himmel marschieren
geschosse werden das wappen des todes sticken
einige werden für immer verschwinden andere werden worte
und gesichter im digitalen netz der endlosigkeit notieren
nur jesus und buddha werden nicht aufhören in die unendlichkeit zu starren
nur das heilige feuer des schmerzes wird nicht aufhören zu glimmen
ausschwitz wird sich entfernen ein stiller tod in der tundra wird sich entfernen
im pech der Zeit ertrinken worte von ghandi und stalin
minibetrüger und megahochstapler pathetische
machthaber komische mogule werden einschlafen
jungen werden friedhöfe demolieren ein alter
mensch wird eine schlaufe um seinen hals legen
du an meinem grab stehender freund
du der darüber weiß dass das gedicht
ein widerhall der geschichte ist schaue in den abgrund
des nächsten jahrhunderts und sage
wohin führen
die wege
wohin geht
der mensch?
Übersetzt von Karl Grenzler
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