Charlotte Ueckert
(Deutschland)
VOM ÜBERSETZEN, BEZIEHUNGSWEISE
„VOM HINÜBERFAHREN“
Im März hat noch keiner Boote
erfunden von Ufer zu Ufer
geht nur der Blick
am Abend tauchen die Schwäne
doppelt so tief
der See ein Engelsauge
zur Erde geworfen
beim Flug durch die Lüfte
von einer Einsamkeit in die nächste
führt der Weg über Städte
Gerne wurde ich immer
im Auto gefahren
liebe den Platz nebenan
die Hand auf dem Knie je nach dem
An mir liegt es nicht
wenn etwas schief geht
waches Schneewittchen
im Kopf gewaltsame Bilder
von Kleiderbündeln
wie fallen die immer so raus
fragte ich in jenen Zeiten
ohne Anschnallpflicht
als alles noch leicht war
Jetzt bleibt vieles verborgen
dem Zuschauer
aber es gibt Überleben
Zugunglücke oder zerborstene Flugzeuge
kenne ich nur vom Fernsehen
und noch kein Liebster kam mir so um
Für mich ist es selbst
in gehobenen Limousinen zu schnell
ich hab nur zwei Beine
stolpere manchmal sogar
über falsch gewählte Absätze
mit denen ich niemals Entfernungen
überwinden könnte
damit nicht alles beim alten bleibt
ist die Liebe Abwesender
das Verkehrsmittel der Zukunft
Ich habe immer noch einen Führerschein
und erinnere das Getanze auf eisigen Straßen
wo eine fremde Gewalt alles steuert
Gerne wurde ich immer
im Auto gefahren
liebe den Platz nebenan
die Hand auf dem Knie je nach dem
Dies Gedicht ist noch in keine Sprache übersetzt worden. Muss überhaupt so viel übersetzt werden? Oder andersherum, von mir aus empfunden: Ich weiß wie schwer es ist zu übersetzen, vor allem Gedichte. Ein paarmal habe ich es aus dem Englischen versucht, bin aber über lineares Übersetzen nicht hinausgekommen.
Bei einem England-Aufenthalt kam ich immerhin so weit, englisch zu denken und zu träumen. Auch Gedichte habe ich auf Englisch geschrieben – und bin unfähig sie ins Deutsche zu übertragen!
Gedichte von mir wurden in andere Sprachen übersetzt, wo ich wegen der unbekannten Schrift gar nichts nachprüfen konnte, ins Persische zum Beispiel. Aber selbst bei Übersetzungen im europäischen Raum, ins Polnische, Spanische, Französische oder Rumänische kann ich allenfalls feststellen, welches meiner Gedichte das möglicherweise ist, mehr nicht.
Auch wenn ich im Ausland Gedichte vortrug und die Übersetzung dazu gelesen wurde, bekam ich danach von jemandem, der beide Sprachen beherrschte zu hören, es habe eine völlige Sinnentstellung gegeben.
So kann ich den Autoren nicht zustimmen, die von vornherein für Übersetzungen in andere Sprachen die höchste Achtung empfinden.
Das eigentliche Problem für mich ist ein anderes. Mit meinen Gedichten bilde ich meine Welt ab und benutze dazu die mir zur Verfügung stehenden sprachlichen Mittel. In der deutschen Sprache und dem, was ich dadurch ausdrücken kann, liegt meine Identität. Es ist der Versuch, mit diesen Gedichten andere zu erreichen, die dies nachfühlen können. Da wir Menschen sehr verschieden sind, können das nie alle, sondern nur Bestimmte sein.
Ein Zwischenträger, ein Übersetzer kann die „Bestimmten-Gruppe“ vergrößern. Aber das, was mir sprachlich wichtig ist, wird dabei nicht immer transportiert: Möglichkeiten, Assoziationen und Konnotationen des Deutschen und seines atmosphärischen Raums.
Ich liebe es Englisch zu sprechen und auch italienisch. Französisch habe ich nie richtig gelernt und Latein fast vergessen. Die einzige Sprache, in der ich jenseits des Alltags einigermaßen etwas verstehe und für mich adäquat ausdrücken kann, ist nun mal meine Muttersprache.
Und denen, die mich mit der wunderbaren Literatur fremder Sprachen bekannt gemacht haben, kann ich einfach nur danken!
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* 1944 | Oldenburg
Charlotte Ueckert studierte Literaturwissenschaft, Psychologie und Kunstgeschichte und arbeitete als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Hamburg in den Bereichen Exilliteratur und Nachkriegsliteratur. Verschiedene Lehraufträge und Vortragstätigkeiten an Fachhochschulen, Akademien, Kreuzfahrtschiffen.
Teilnahme an Lyrikfestivals, u.a. in Struga, Mazedonien, Reisestipendien für Italien und Marokko. Übersetzungen ihrer Gedichte ins Serbo-Kroatische, Rumänische, Persische und Polnische.