André Schinkel
(Deutschland)
Sonar
Ich suche dich, ich hab dir längst verziehen,
Ich witter dich, ich hab dich fast;
Du brauchst nun nicht mehr vor mir fliehen –
Ich spüre dich: dein Herzblut rast.
Ich orte dich, ich kann dich immer finden,
Ich sehe, fühle, hör dich gut;
Du kannst vor mir nicht mehr verschwinden:
Ich bin dir auf der Spur, sei auf der Hut.
Ich sehe dich auf jeder Lichtung,
Du tarnst dich falb in jedem Rindenloch;
Ich folge dir in jede Richtung:
Du siehst dich vor, ich seh dich doch.
Ich fasse dich, ich schau dir in die Karten,
Du weißt es, du entkommst mir nicht;
Du wirst mich bald nicht mehr verraten –
Ich spüre, rieche, atme dich.
Sepia
Seit einiger Zeit will ich den Rausch der Sepien besingen:
Ihr flackerndes Steigen ins Licht andrer Tage, wenn
Unser Leuchten schon lange dem Verglimmen sich neigt,
Der karge Hauch des Zerfalls unser Schibboleth ist.
In den Armen einer kalten und berechnenden Frau ist
Soeben jenes Leuchten erloschen, das mich jahrelang trug –
Hinter den Tränenvorhängen singt das Meer von den
Mollusken, ihrem Blinken, ihrer falben Liebesergebenheit:
Das ist die Zwietracht, die die Liebe uns sät, nachts,
Auf den Fluren unsrer verzweifelten Tänze, in den üblen
Geräuschen unsrer vergeblichen Lust; und nichts singt
Mein Leid triftiger als diese notorische Unerreichbarkeit
Der geliebten Dinge im Schatten der Wellen: ihr
Blasentreibendes Nichts, die Griff-Ferne ihrer Tentakel.
An den nachtblauen Falter
Auf dich, Schmetterling, habe ich den ganzen
Tag schon gewartet, deine meerblauen
Schwingen. Unruhig durchlief ich die Nacht,
Am frühen Morgen begann ich zu trinken,
Weil: ich hielt die Erwartung nicht aus. Und nun
Wieder Nacht, und mein Kopf voller Wein,
Und der Schlaf kommt nicht, bevor du nicht
Kommst. Weithin dein Flug, von der
Baltischen See her, und immer zu mir, auf der
Flucht vor den Krähen, die aus Norwegen
Sind. Dein Blick – süd-skandinavisches Licht
Unter der gleichmäßigen Schwinge,
Wenn du in den heimischen Schlag kehrst,
Nektarperlen im Pelz und Blütenstaubduft: Auf
Dich habe ich den ganzen Sommer gewartet.
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André Schinkel, *27. April 1972 im sächsischen Eilenburg. Er wuchs in Bad Düben und Holzweißig bei Bitterfeld auf und lebt seit seiner Lehrzeit in Halle (Saale). In seinem Studium der Germanistik und Archäologie beschäftigte er sich mit der Literatur der Neuzeit sowie den meso- und neolithischen Kulturen Mitteleuropas. Er debütierte 1994 mit dem Gedichtband „durch ödland nachts“, dem folgten bis heute weitere 16 Bücher. Er arbeitet als Autor, Gutachter und Redakteur, für seine Gedichte, Erzählungen und Essays wurde er mit dem Georg-Kaiser-Förderpreis und dem Joachim-Ringelnatz-Nachwuchspreis für Lyrik (aus der Hand von Wolf Biermann) ausgezeichnet. Er war hallescher Stadtschreiber, Stadtschreiber der Burgstadt Ranis und ist Mitglied des P.E.N.